Glengarry Glen Ross

Glengarry Glen Ross

Von Matthias Ehrlicher

Klar, allein die Besetzung ist es wert, dass dieser James-Foley-Film aus dem Jahr 1992 jetzt auf Blu-ray erscheint. Heute würde eine ähnlich hochkarätige, talentierte Schauspieler-Truppe nicht mehr zusammen finden: Al Pacino (noch bevor er seinen Manierismen und Grimassen erlag), Jack Lemmon (in überragender Höchstform), Alan Arkin (solide wie eh und je), Glengarry-CoverEd Harris (stark wie so oft), Jonathan Pryce (wunderbar verstört), Kevin Spacey (lange bevor er, nur noch mit einer Arschbacke spielend, Seriendarsteller wurde) und Alec Baldwin, der mit einer kleinen Nummer brilliert (noch ohne die heute sein Spiel so sehr behindernden Körpermaße). Aber auch das Thema des Films ist in den über zwanzig Jahren seit seiner Premiere eher noch aktueller geworden. Die Geschichte spielt in einem Immobilien-Büro im Amerika der frühen 1990er Jahre. Die Reagan-Ära und das Wettrüsten haben dem Land arg zugesetzt. Die Wirtschaft schwächelt und der Immobilienmarkt in den USA liegt am Boden. Aus diesem Grund wurden dann die Subprime-Kredite auf den Markt geworfen, die 2008 die internationale Finanzkrise auslösten.

Glengarry-06Die vier Makler Shelley Levene (Jack Lemmon), Ricky Roma (Al Pacino), Dave Moss (Ed Harris) und George Aaronow (Alan Arkin) mühen sich auf einem abgeernteten Feld ab, aber außer Ricky Roma gelingt keinem mehr ein Abschluss. Also denkt sich die Chefetage, die brauchen eine kleine Aufmunterung. Ein Wettbewerb wird ausgeschrieben. Der Erste kriegt einen Cadillac, der Zweite ein Messerset und die anderen werden entlassen. Motivationstraining auf Amerikanisch. Da sich die Makler beschweren, dass die Adressen, die sie vom Büro kriegen, um damit neue Kunden und somit Abschlüsse zu generieren, der letzte Mist sind, werden ihnen „heiße Adressen“ – die „Glengarry-Adressen“ – als Mohrrübe vor die Nase gehängt. Doch nur die besten von ihnen werden sie kriegen – nach dem Wettbewerb. Die sind nur was für Gewinner. Je länger die Handlung dauert, umso mehr verwandeln sich diese Adressen in den heiligen Gral. Shelley Levene, Dave Moss und George Aaronow gehen jeder auf unterschiedlichste Weise mit ihrer Situation um. Ed Harris’ Figur ist der Zornige, er schiebt alle Schuld auf „die Adressen“. Arkins Figur Aaronow sieht sich jetzt schon gefeuert und hängt sich an Moss als eine Art Knappe des Zorns. Shelley Levene hingegen weiß, dass er am Ende ist, ist aber nicht in der Lage es sich selbst einzugestehen. Er kann das Krankenhaus für seine Tochter schon lange nicht mehr bezahlen. Also greift er nach jedem untergangenen Strohhalm, um den Schein zu wahren. Er versucht sogar den Büroleiter John Williamson (Kevin Spacey) zu bestechen, um an die „heißen Adressen“ zu kommen. Williamson kostet das zu Kreuze kriechen des Alten genüsslich aus, rückt aber nichts raus. Mit allen schäbigen Verkaufstricks versuchen die drei in dieser Nacht, doch noch etwas zu reißen. Vergeblich! Die ökonomische Notlage bringt bei allen die jeweils dunklen Seiten hervor. Voller Wut will Moss Aaronow dazu anstiften, die „heißen Adressen“ zu stehlen und an die Konkurrenz zu verkaufen. Er fühlt sich im Recht. Doch selber die Finger schmutzig machen will er sich auch nicht, er hat die Idee und den Kontakt, aber den Bruch soll Aaronow übernehmen. Mit einer kleinen Erpressung als Motivation. Derweil sitzt Levene vor dem Büro in seinem Auto und weiß keinen Ausweg mehr. Was Jack Lemmon schauspielerisch in diesem Film leistet, ist mehr als großartig. Er überragt seine Kollegen um einiges und es spricht für alle Beteiligten, dass das möglich war.

GLENGARRY-01Al Pacinos Figur Ricky Roma ficht der Wettbewerb nicht an. Er ist jetzt schon die Nummer Eins. Ihm kann keiner etwas. Er sitzt im ersten Teil des Films in einer Bar und plaudert mit einem anderen Gast James Lingk (Jonathan Pryce) über Gott und die Welt. Über die Vergänglichkeit des Genusses, über Ängste und so weiter. Um seine philosophischen Thesen zu untermauern holt er, wie nebenbei, einen Prospekt von Grundstücken hervor. Lingk hat keine Chance.Und so kommt eine gut gelaunter und sich um einen Cadillac reicher wähnender Roma am nächsten Morgen ins Büro – in dem in der Nacht eingebrochen wurde. Telefone, Portokasse, einige Kaufverträge und die sagenumwobenen „heißen Adressen“ sind weg. Nicht nur die Cops wollen wissen, wer das war. Alle Makler werden verdächtigt, alle haben ein Motiv. Einer nach dem anderen muss ins Verhör.

Glengarry-03Ab hier gibt es für alle vier nur noch eine Richtung – nach unten. Jede denkbare Charakterschwäche wird genüsslich zelebriert, jede Beschimpfung ausgesprochen und am Ende bleiben nur noch menschliche Wracks zurück. Das ist stellenweise große Schauspielkunst – im falschen Film. Denn leider gelingt es James Foley in seiner Filmregie nicht, aus der Vorlage einen Film für diese Besetzung zu inszenieren.
Das Drehbuch von David Mamet basiert auf seinem gleichnamigen Theaterstück. Eigentlich keine schlechte Grundlage. Auch ist die kammerspielartige Inszenierung Foleys angemessen, die Handlung findet fast nur in geschlossen Räumen statt und ewig rauscht der Regen im Hintergrund. Doch findet Foley keine eigene Filmsprache für die Situationen und Konflikte und so verliert sich der Film in sehr redereichen Zweier- und Dreier-Szenen, in denen die Schauspieler jeweils brillieren können, aber das Medium Film bleibt auf der Strecke. Diese gute Schauspieler-Nummern-Revue mag gewollt gewesen sein, ändert aber nichts daran, dass die Dialoge zu theatral und zu wenig zugespitzt sind. Foley hat keine Bilder, die den Text erweitern oder wenigstens ersetzen könnten. Foley hat keinen filmischen Zugriff auf das Thema.

Denn natürlich geht es hier nicht um gescheiterte Immobilien-Makler. Foley und Mamet erzählen den gescheiterten amerikanischen Traum. Von einem ökonomischen System, in dem am Ende nur einer gewinnen kann: das System. Die Menschen sind zum Scheitern verurteilt und geben sich dann auch noch selbst die Schuld. Der heilige Gral – die Adressen – soll gar nicht gefunden werden, denn dann könnte es ja passieren, dass er sich als wertlos erweist und damit wäre der Traum vom „Jeder kann es schaffen“ nicht nur ausgeträumt, er wäre als Lüge entlarvt. Das jedoch filmisch vielschichtig zu erzählen hätte einen eigenständigeren Regieansatz verlangt oder einen anderen Drehbuchautor. Denn die Geschichte und ihr Thema waren es damals wert erzählt zu werden und sind es heute mehr denn je.

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Glengarry Glen Ross, USA 1992, R: James Foley, D: Jack Lemmon, Al Pacino, Es Harris, Alan Arkin, Kevin Spacey, Jonathan Pryce

Anbieter: Turbine