Hetzjagd ohne Gnade

Hetzjagd ohne Gnade

Von Christopher Klaese

Atypisch beginnt die HETZJAGD OHNE GNADE. Zu einer burlesken Combomelodie schiebt sich die Kamera durch das nächtliche Getümmel auf den Straßen Mailands. Man begleitet einen Mann, Luca Antieri (Luc Merenda), stolz auf seiner Vespa die Straße entlangtuckernd. Die Musik mit ihren Pianoakkorden lässt an Rummel denken, an Verspieltheit. Und ein Spieler ist Luca – ein Zocker, der seine Gegner regelmäßig beim Pokern über den Tisch zieht. Bis ihn ‚Der Präsident‘ (Enrico Maria Salerno) für seine Zwecke einspannt. Luca tauscht Cordhose gegen Nadelstreifen und stellt nunmehr sein Können in den Dienst der ‚Bank‘. Doch dann trifft er Marie-Luisa (Dayle Haddon) und brennt mit ihr durch. Ungünstig für die beiden: er hat sie dem verrückten Sohn des ‚Präsidenten‘ ausgespannt. Denn während der ‚Präsident‘ mit Intelligenz arbeitet, ist sein Sohn ein brutaler Derwisch, der nun auf Rache sinnt. Für Luca und Marie-Luisa beginnt ein Wettlauf mit dem Tod!

HETZJAGD-CoverHETZJAGD OHNE GNADE vereint in kompakter und unterhaltsamer Form alle Eigenschaften, die das italienische Publikumskino – speziell der 1970er Jahre – bei seinen Feinden so gehasst, bei seinen Fans jedoch geradezu verehrenswert macht. Einerseits der unbedingte Wille zur Unterhaltung, auch gerne unter Missachtung des allgemeingültigen Geschmacks, andererseits die nonchalante und manchmal nicht gerade zimperliche ‚Inspiration‘ bei anderen, bereits erfolgreichen Rezepten. In diese Kerbe haut auch Sergio Martino, wenn er und seine Drehbuchautoren sich reichlich bei Klassikern á la HAIE DER GROSSSTADT (1961) oder CINCINNATI KID (1965) bedienen. Doch im Gegensatz zum untalentierten Genrefilmer verlässt er sich nicht auf die reine Kopie, sondern adaptiert die Geschichten so geschickt, dass sie auch für Mailand und seine kleinen Helden von der Straße gelten. Selbst eine Bett- und Liebesszene, die in Ausarbeitung und Konfektion ein großes Vorbild wie WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN (1973) nicht von der Hand weisen kann, wird vom Regisseur so verspielt inszeniert, dass man ihm dafür einfach nicht Gram sein mag.

Martinos Kino hat hier fest das Bauchgefühl des Zuschauers im Blick. Besser, als sich mit einer Exposition oder dem langen Herausarbeiten von Gefühlen aufzuhalten, geht HETZJAGD OHNE GNADE den direkten Weg – ganz ohne Netz und doppelten Boden. Da kann es schon passieren, dass Momente des unbeschreiblichen und geradezu exzessiv gefilmten Glückes von Luca und Marie-Luisa innerhalb von zwei, drei Schnittfolgen in unendliche und wenig zimperlich servierte Todtraurigkeit umschlagen. Doch – und das ist die eigentliche Kunst des Genrekinos – wenn sich der Zuschauer erstmal daran gewöhnt hat, ist jedes Gefühl genauso wahrhaftig, wie es in einem kanonisierten Filmklassiker wäre. Vielleicht sogar noch etwas zwingender, da Martino auf den Bauch und nicht den Kopf schielt. Dass Luc Merenda und Dayle Haddon keine schauspielerischen Schwergewichte sind, stört da nicht. Denn für diese Rollenklischees bringen sie jenes Maß an Authentizität mit, die heute oftmals so sehr fehlt. Und dass ein Enrico Maria Salerno selbst grau geschminkt und im Rollstuhl sitzend den Rest noch an die Wand spielt – wer mag darüber traurig sein?

HETZJAGD-01In ähnlicher Form wie Martino ist sich auch sein Komponist Luciano Michelini partiell nicht zu fein, mal etwas über den ‚großen Teich‘ zu schielen. Manche Funknummer, die der ehemalige RCA-Arrangeur hier ins Spiel bringt, hätte auch SHAFT (1971) gestanden und der großorchestrale Schmusesoul könnte auch direkt aus dem Songbook von Barry White stammen. Doch Michelini gelingt das Kunststück, nie ins simple Plagiat abzurutschen: dafür ist sein clowneskes Titelthema einfach zu herzlich, ist sein mit verschlungener und überraschender Melodik gesegnetes Liebesthema eben zu wunderschön. Dass er damit auch Sergio Martino begeistert haben dürfte, darf mit Blick auf die Filmographie der beiden stark angenommen werden und kann auf dem bei Digitmovies erschienen Soundtrack zu HETZJAGD OHNE GNADE gerne nachgehört werden.

Die deutsche Bearbeitung des Filmes, die erst einige Jahre später entstand, verstärkt den dramatischen Part des Filmes sogar noch. Neben den adelnden Synchronsprechern, deren Frontmann Klaus Kindler für Merenda tätig werden darf, ist auch der erweiterte Musikeinsatz bemerkbar. Neben einem alternativen Arrangement des durch Donna Summer zum Welthit gewordenen ‚Hot Stuff‘, das den Film akustisch in die Nähe der Arbeiten Gerhard Heinz‘ für die erfolgreichen Lisa-Filmproduktionen rückt, finden als Leitmotive für Marie-Luisa sogar Roberto Pregadios wehmütige Discostomper aus VERFLUCHT ZUM TÖTEN (1978) Verwendung.

HETZJAGD-PlakatWenn HETZJAGD OHNE GNADE eines nicht ist, dann ein Polizeifilm – eher ein Drama mit Gangsterfilmelementen. Doch welchen Filmliebhaber sollte es stören – denn unter welchen Signet etwas verlabelt wird ist unwichtig, solange es dadurch überhaupt den Weg in das Heimkino findet. Innerhalb der in stilechten, roten Amarays verpackten „Polizieschi Edition” erschien vor kurzer Zeit HETZJAGD OHNE GNADE als #003. Auf DVD kann der italienische Bildtransfer in Cinemascope überzeugen, gelegentliche Unebenheiten sind bei dieser farbenfrohen und kantenscharfen Aufarbeitung schon der einzige Makel. Der deutsche Ton ist in gefilterter und unbearbeiteter Fassung aufgespielt, klingt allerdings minimal dumpfer als das italienische Original. Als Bonus sind der Kinotrailer aus dem Entstehungsland sowie ein sehr informativen sechzehnseitiges Booklet von Heiko Hartmann beigefügt. Eine Trailershow zu anderen Titeln aus dem reichhaltigen und für den Eurokultfan sehr schmackhaften Katalog des Labels ist selbstverständlich.

… und am Ende des Tages werden wir wohl nie ganz begreifen, dass – von einigen lobenswerten deutschen Ausnahmen abgesehen – derart schnörkelloses und kompro-missloses Genrekino zu dieser Zeit fast nur noch bei unseren südlichen Freunden möglich war. Wenn Sergio Martino uns dieses Thrillerdrama anpreist, dann mit einem Selbstverständnis, das uns Staunen lässt … und zumindest für uns kein Zweifel mehr besteht, wohin der nächste Auslands-Oscar gehen sollte!

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La città gioca d’azzardo, I 1974/1975, R: Sergio Martino, D: Luc Merenda, Dayle Haddon, Corrado Pani, Enrico Maria Salerno, Lino Troisi, Tom Felleghy

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