Jamie Marks Is Dead

Jamie Marks Is Dead

Von Christopher Klaese

Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschten Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?

JAMIE-CoverFür Adam McCormick (Cameron Monaghan) stellt sich diese Frage nicht. Er erlebt beides. Gracie Highsmith (Morgan Saylor) auch. Sie sind jung, so um die 15 Jahre alt – zu jung um zu wissen, wie die Welt funktioniert. Sie wissen noch nicht einmal, warum sie selber so und nicht anders sind. Das Erwachsenwerden erleben sie gerade erst; zaghaft, mit allem was dazu gehört. Doch die Älteren, wie Adams Mutter Linda (Liv Tyler), können ihnen nicht helfen. Vielleicht, weil auch sie nichts wissen vom Leben, von dem Beständigen, dem Natürlichen. Doch für Gracie und besonders Adam gibt es etwas Übernatürliches: den Mitschüler Jamie Marks. Doch Jamie Marks ist tot – eigentlich. Doch für Adam wird er dieser Tote nicht weniger als jemand, der ihm mehr über das Leben zu berichten weiß, als alle Lebenden.

In einer amerikanischen Kleinstadt, am Rande eines Flusses – jenem Symbol für das immerwährende Werden und Vergehen – findet Gracie einen Körper, die fleischliche Hülle eines Jugendlichen. Mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Doch nicht geboren, sondern gestorben wurde. Jamie Marks ist tot, nackt und bloß liegt er da; der Körper geschunden, ermordet. Der fallende Schnee kann nicht überdecken, was offen zu Tage tritt: Jamie Marks war nicht beliebt bei seinen Klassenkameraden – im Gegenteil. Von allen gemobbt, von keinem geliebt, von niemandem unterstützt. Nun ist er tot – bis er Adam und Gracie als Geist gegenübersteht und Adam bittet, ihm jetzt zu helfen. Die Grenzen zwischen Leben und Tod verschwimmen und für alle drei wird dies eine Erfahrung, die ihre Existenz für immer verändern soll.

Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen? Und wen hingegen nicht?

JAMIE-1Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die niemand erklären kann – und doch wird jeder zugestehen, dass es sie gibt; weil sie sind. Werden und vergehen, stirb und werde. In den meisten Fällen ist Trauer bei den Lebenden. Über den Verlust und die Tatsache, dass die Toten nicht mehr in jener Form da sind, wie bisher gewohnt. Doch manchmal ist es den Lebenden gar nicht recht, sich länger als nötig mit den Toten zu beschäftigen. Vielleicht weil diese allein durch ihre Existenz daran erinnern, dass man selbst manches hätte anders machen sollen – besser machen müssen. Jamie ist für Adam sichtbar um ihm genau das zu zeigen: sich füreinander einzusetzen, sich zu einem anderen Menschen bekennen – damit lässt sich etwas erreichen. Damit lassen sich der kalten und unverständigen Umgebung Augenblicke wahrer Größe abringen und Werte schaffen für die Zukunft. Adam findet in Jamie jemanden, den er in der Wirklichkeit kaum findet. Auch für Gracie wird Jamie zu einem Medium. Denn auch wenn sich die manchmal etwas altkluge Steinsammlerin scheut und ihre zaghafte Liebe zu Adam mit keinem Geist ‚teilen‘ möchte, so sehr versteht sie, was sonst niemand versteht: dass die Trennlinie zwischen Diesseits und Jenseits manchmal fließend verläuft – und keine Sache des Absoluten ist.

JAMIE MARKS IS DEAD zeigt in trüb-tristen Bildern ein entmenschlichtes Menschsein. Carter Smith, dessen Drehbuch sich ebenso wie seine Regie als durchdacht und konzeptionell hochwertig präsentiert, verbindet eine Moritat über den Sinn des Lebens mit Elementen der Geistergeschichte. Verpackt in einem – mit latenten, jedoch nie grellen homoerotischen Tendenzen versehenen – ruhigen und intimen Coming-of-Age-Drama.

JAMIE-4Neben beeindruckenden Darstellerleistungen – allen voran die drei Jungstars Cameron Monaghan, Noah Silver und die faszinierende Morgan Saylor, aber auch die grandios brüchige Liv Tyler – sind es die exakten Kameraperspektiven und Stimmungszeichnungen, mit denen Smith seine Visionen illustriert. Bilder von Schwere, von bleierner Zeit – dem Stillstand nur um Sekundenbruchteile voraus. Nichts wird überhastet vorgetragen, alles hat seine Ruhe. Die von einigen ruppigen Orchestereinwürfen nur selten aufgebrochene Pianomusik aus der Feder François-Eudes Chanfraults lenkt den Fokus auf das Wesentliche. Um nicht weniger als die Auseinandersetzung mit der heutigen und zukünftigen Realität geht es hier.

Lieben Sie jemand? Und woraus schließen Sie das?

Erlösung! Erlösung von den Lasten des Vorherigen, Erlösung für die Geschehnisse des Zukünftigen. Befreit zu sein für das, was kommt: das strebt Jamie an – für Adam, für Gracie und für sich selbst. Es gilt, jenem unbeschreiblichen Gefühl etwas für die Ewigkeit abzuringen: Liebe. Liebe zum Nächsten und Liebe zu sich selbst. Das zu erkennen ist für diese Ménage-à-trois zwischen Irdischem und Ewigen eine Erkenntnis voller Unschärfen. Und doch schlagen sie sich durch das Gestrüpp des Irrealen, um Frieden zu finden; um zu sich selbst zu finden und zum anderen. Der Tod ist erst der Anfang – für diesen Film mag das stimmen. Der Tod macht Engel aus uns allen – darüber ist man sich vielleicht noch nicht ganz im Klaren. Uns lässt JAMIE MARKS IS DEAD großen gedanklichen Spielraum, damit wir vielleicht schon vor dem Tod klug werden, vielleicht etwas richtig machen können. So viel wie möglich, so oft wie möglich. Mit Liebe! Zur Erlösung!

JAMIE MARKS IS DEAD liegt auf DVD und Blu-ray mit gut aufgeschlüsselten deutschem 2.0-DTS-Ton und englischem Originalmix in 5.1 DTS vor. Erschienen im Breitwandformat sind als Extras der deutsche und englische Kinotrailer sowie ein Wendecover enthalten.

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Jamie Marks Is Dead, USA 2014, R: Carter Smith, D: Liv Tyler, Judy Greer, Cameron Monaghan, Morgan Saylor, Noah Silver, Madisen Beaty

Anbieter: Donau Film