Sie sind verdammt

Sie sind verdammt

Von Bodo Traber

Eine der außergewöhnlichsten Produktionen der vor allem für ihre wollüstigen Gothic Horror Filme bekannt gewordenen britischen Hammer Studios ist der 1961 entstandene Science-Fiction-Film THE DAMNED, der nach Meinungsverschiedenheiten mit den Produzenten (und angeblich massiven Eingriffen) erst mit zwei Jahren Verspätung herauskam, dann jedoch den Großen Preis des Science-Fiction-Filmfestivals von Triest 1964 erhielt. Gedreht hatte ihn der renommierte amerikanische Regisseur Joseph Losey (THE SERVANT, MONSIEUR KLEIN), der sich als erklärter Marxist und Exilant der McCarthy-Ära in seiner Wahlheimat England angesiedelt hatte, nach dem Roman „Kinder des Lichts“ des wenig bekannten Autors H.L. Lawrence.

Sie-Sind-Verdammt_CoverFür Losey war die Geschichte um ein Geheimprojekt der Regierung, dessen Anspruch, die letzte Rettung der Menschheit zu sein, und seine tatsächliche berechnende Unmenschlichkeit in krassem Gegensatz zu einander stehen, Anlass für eine Studie über einander durchschneidende und gegeneinander gespiegelte Spiralen der Gewalt, in der die überkommenen Regeln und Gesetze nicht mehr zu gelten scheinen. Zum einen sind da die Teddyboys, die zeittypischen jugendlichen Motorradrowdys unter ihrem Anführer King (Oliver Reed), die ohne je deswegen belangt zu werden, mit Hilfe von Kings kurvenreicher Schwester Joan (Shirley Anne Field) routinemäßig Touristen in erotische Fallen locken, dann zusammenschlagen und berauben, dabei in Wahrheit eher einem ideologischen Prinzip der Aggression und Zerstörung folgen. Für King hat die Brutalität immer auch strafenden Charakter. Sein Hass auf die ältlichen Lüstlinge mit ihren vermeintlich schmutzigen Gedanken ist nur die Verbrämung der inzestuösen Begierde, mit der er seine Schwester vor anderen Männern schützt. Simon Wells (MacDonald Carey), der amerikanische Business-Aussteiger und Tourist, der ihnen diesmal in die Falle geht, ist jedoch ein Mann, der Joanie tatsächlich fasziniert. Die Wiederbegegnung der beiden wird zur Schicksalswendung, als Joanie vor ihrem Bruder an Bord von Wells auslaufender Jacht flieht und King diesem den Tod androht, wenn er wieder einen Fuß an Land setzen sollte. Parallel dazu agieren Projektleiter Bernard (Alexander Knox) und seine militärische Hilfstruppe, die in einem hermetisch abgesicherten Sperrgebiet an der nahen Küste unter staatlicher Sanktionierung ebenso einem eigenen Kodex folgen, der sich nicht mehr an bestehende Gesetze zu halten braucht und an dessen Ende Bernard entscheidet, wer überleben darf und wer nicht. Zum dritten ist da das nukleare Armageddon, das nach Bernards Meinung unmittelbar bevorsteht und dem der Mensch unweigerlich zum Opfer fallen und vom Planeten hinweggefegt wird – wenn er sich nicht darauf vorbereitet, einen gangbaren Weg zu finden, einen Nukleus der menschlichen Art zu erhalten: In einer Höhle unter dem Stützpunkt stoßen Simon und Joan auf der Flucht vor King auf eine Gruppe radioaktiver Kinder, die gegen radioaktiven Fallout immun sind und von Bernard darauf vorbereitet werden, das Erbe der Menschheit anzutreten, „wenn die Zeit kommt“. Allerdings ist der direkte Kontakt mit ihnen tödlich…

the-damned-5Loseys THE DAMNED galt lange als so kuriose wie prätentiöse Fingerübung im Oeuvre des bedeutenden Regisseurs, das durchaus phantastische Sujets ebenso wie mehrere ‚harte’ Genrefilme umfasst, wobei ihm Gangsterfilm (THE CRIMINAL / CONCRETE JUNGLE) oder Kriegsfilm (KING AND COUNTRY) ebenso nurmehr als Folien für soziologische Studien dienen. Gerade das Moment des vage Kafkaesken, in dem das Individuum zum ohnmächtigen Spielball meist undurchschaubarer Mächte wird, zieht sich als roter Faden durch sein Werk, und THE DAMNED fand im acht Jahre später entstandenen FIGURES IN A LANDSCAPE (IM VISIER DES FALKEN) zu Pendant und Weiterführung; dort sind es zwei Entflohene in einem nicht näher bezeichneten, offenbar totalitären System, die von anonym bleibenden Verfolgern gejagt werden. Die Atmosphäre des Paranoiden – in THE DAMNED manifest auch dadurch, dass der visuelle Stil des Films an die vorangegangenen QUATERMASS-Filme derselben Produktionsfirma erinnert – , in dem die Motivik von Verschwörung und Beobachtung, vages Polizeistaat-Klima und Apokalyptik zueinander finden, verbindet sich mit einer düsteren Naturemphase und einer Vielzahl weit über den Genreplot hinausweisender Symbolismen: In beiden Filmen wirken die Figuren in die raue Landschaft hinein geworfen wie in existentialistischen Dramen, in beiden Filmen allgegenwärtig ist eine stets mit einander verbundene Vogel- und Todessymbolik – hier wie dort am emblematischsten im Motiv der Hubschrauber, die über ihren Opfern kreisen wie Aasgeier; überdeutlich auch in den makabren, expressionistischen Skulpturen, die Bernards Freundin, die Künstlerin Freya (Viveca Lindfors) schafft (eine Figur, die in der Vorlage nicht vorkommt) und die den Atomtod bereits vorwegzunehmen scheinen. Prägnant stehen die Wildheit der englischen Westküste und das zerfallen wirkende Weymouth der Futuristik der Bunkeranlage gegenüber, in der die Kinder großgezogen werden, die selbst die größten, existentiellen Fragen an ihre Lehrer dort oben haben und von sich selbst glauben, sie seien in einem Raumschiff unterwegs zu einem anderen Planeten, den sie besiedeln sollen (was so falsch gar nicht ist). THE DAMNED ist wie viele Doomsday-Geschichten auch ein philosophischer Exkurs über die Conditio humana. Der Weltuntergang, auf den Bernard wartet, scheint bereits heraufzudämmern, als der Film endet; die Zivilisation, die die Kinder erhalten sollen, obwohl sie sie nie kennen gelernt haben, ist längst dabei, zu zerfallen und sich selbst zu fressen. Die Menschheit ist schon ausgestorben, sie weiß es nur noch nicht.

the-damned-4Zu naturalistisch, zu unspektakulär und natürlich zu künstlerisch schien der Film damals seiner Distribution, der internationale Verleihtitel THESE ARE THE DAMNED versucht, sich auf gerade noch rechtlich zulässige Art an den Genreerfolg des Horrorgespanns VILLAGE OF THE DAMNED und CHILDREN OF THE DAMNED anzuhängen, obwohl es keinen inhaltlichen Zusammenhang gibt. In Deutschland erlebte er seine Premiere erst 1973 im Fernsehen, lief dann noch einmal 1978 als 9. Titel in der legendären Science-Fiction-Reihe der ARD, bevor er für zunächst 15 Jahre völlig verschwand. Bisher nur als ‚second feature’ auf einer US-DVD greifbar, wird dieser inzwischen fast unbekannte Klassiker erstmals in einer würdigen deutschen Heimkino-Veröffentlichung zugänglich; nach wie vor einer der wichtigsten Vertreter im Genre Doomsday-Film der Cold-War-Ära, aus einer Zeit also, als man dafür noch keine Zombies brauchte.

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The Damned, GB 1963, R: Joseph Losey, D: MacDonald Carey, Shirley Anne Field, Oliver Reed, Alexander Knox, Walter Gotell, Viveca Lindfors, u.a.

Anbieter: Explosive Media