Die Engel von St. Pauli

Die Engel von St. Pauli

Von Guy Montag

Moin, moin – Freunde des exploitativen Filmes! Nachdem es schon fast nicht mehr denkbar schien, dass dieser – lediglich in Fankreisen auf Video kursierende oder mal in einer zerschlissenen Fernsehfassung weitergereichte – Gnadenhammer von deutschem Krimi mal in mustergültiger Fassung verfügbar sein würde, hat Subkultur Entertainment ein Einsehen und liefert nicht weniger als die ultimative Edition dieses kleinen, immer etwas dreckigen, authentischen und nostalgischen Meisterwerkes. DIE ENGEL VON ST. PAULI setzen in der heimischen Röhre zur Landung an.

Cover-PAULINicht nur ‚Heute ein König‘ – Jule Nickels (Horst Frank) ist der Macher der Reeperbahn, sein Reich ist der Kiez von der Davidstraße bis zur kleinen Freiheit. Mit seinen Gefolgsleuten – DIE ENGEL VON ST. PAULI – gibt er den Ton an. Doch Holleck (Herbert Fux) und seine österreichischen Zuhältergenossen bringen Unruhe ins Rotlichtmilieu. Für Nickels bedeutet das unliebsame Konkurrenz – und er revanchiert sich mit Terror; der Bandenkrieg ist perfekt. Als eine taubstumme Prostituierte brutal abgeschlachtet wird und die Schmiere unter Vorsitz von Kommissar Behringer (Günther Neutze) klar Schiff machen will, schließen Luden beider Lager einen perfiden Plan um den Mörder dingfest zu machen. Am Hamburger Fischmarkt läutet für alle Beteiligten die Kirchturmuhr zur letzten Sperrstunde!

Was Jürgen Roland für die Entwicklung des deutschen Nachkriegskriminalfilmes getan hat, ist schon mit Serien wie STAHLNETZ (1958 – 1968) nicht hoch genug zu bewerten. Doch anstatt von der Fernsehschaffe die Füße hochzulegen, drehte der zelluloidverrückte Regisseur in seinem Jahresurlaub Film auf Film. Bei aller Handwerklichkeit war Roland immer dann am besten, wenn er Hamburg und speziell den Kiez um das Vergnügungsviertel St. Pauli portraitieren konnte. Hier kannte er sich aus, mit POLIZEIREVIER DAVIDSWACHE (1964) und 4 SCHLÜSSEL (1965) sammelte er Preise, Anerkennung und perfektes Zeitkolorit. Bodenständiges Dokumentaristentum mit hemdsärmeliger Kinounterhaltung zu verbinden suchte er auch später im ST. PAULI REPORT (1971); bei ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN (1973) – ebenfalls von Subkultur Entertainment erhältlich – schuf er die Spielart eines deutschen Poliziottesco.

PAULI-01Doch souveräner, saftiger, erdiger und herzlicher als bei den ENGELN VON ST. PAULI war Roland nie – hier gibt’s richtig was vor den Poller des Filmfreunds. Auch wenn der Film jegliche Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit dem Zufall anheimstellt, so ist das Portrait des Kiezpaten Wilfrid Schulz und seiner Kumpane stilecht und geglückt – das Schulz‘ Adlatus Uwe Carstens sich quasi selbst spielt und für die Beratung der Dreharbeiten zuständig war, kann als Glückfall bewertet werden.

Die halbe Miete ist natürlich die Darstellerriege, wobei durch die Bank von Idealbesetzungen die Rede sein darf. Horst Frank als Kiezkönig lebt seine Rolle bis zum Äußersten, hier kommt Kunst mit Können zusammen. Herbert Fux und Werner Pochath geben ebenfalls Vollgas, Günther Neutze bringt mit seiner ewigen Griesgrämigkeit noch jedes Höllenfeuer zum Erkalten. Flankiert werden diese Mannen von den Gallionsfiguren des für kurze Zeit bestehenden deutschen Gangsterfilmes – Karl Lieffen, Rainer Basedow, Horst Hesslein, Hans Waldherr und Will Danin. Das Lieblinge für Schwiegermütter á la Gernot Endemann mal richtig schmierige Gossengangster spielen dürfen, hat besondere Art – und dem späteren NDR-Moderator Dénes Törzs zuzuhören, wie er sich des Wiener Dialektes bemächtigt, ist großes Tennis auf Rothenbaumniveau.

PAULI-02Unterstützung erfährt Rolands Ansinnen eines gradlinigen und trotzdem unterhaltsamen Sittenkrimis durch den versierten Kameramann Petrus Schloemp, der sich von durchgeplanten Kranfahrten bis hin zu handgehaltenen Arriflex-Szenen jeder Technik bedient. Rolands Hauskomponist Siegfried Franz breitet indessen fette Bläsersetze, Hammondorgelgewaber und dissonante Orchesterklänge auf der Tonspur aus und schmiert die Handlung mit stimmungsvollen Arrangements.

Gar nicht genug danken kann man dem Label Subkultur, dass Sie sich mit der Edition Deutsche Vita (EDV) fast vergessenen Beiträgen zur deutschen Filmgeschichte widmen. Meisterwerke, von der ‚seriösen‘ Filmkritik geschmäht, werden hier optisch hervorragend präsentiert und mit interessantem Bonusmaterial untersetzt. DIE ENGEL VON ST. PAULI machen da keine Ausnahme! In Bild und Ton eine Pracht – in 2K von den originalen Negativen abgetastet und mit wahlweise remastertetem oder unbearbeitetem Lichtton mehrsprachig (deutsch, englisch, französisch) ausgestattet – gibt es in der opulenten Dreingabensektion Gespräche mit Horst Frank, Herbert Fux und Jürgen Roland (Audiointerview) sowie einen erhellenden Audiokommentar von Pelle Felsch und Oliver Nöding, der mit ordentlich Kiezgeschichte und Insiderwissen aufwarten kann. Neben einem besonders für Ortskundige spannenden Drehortvergleich, einem Feature über die Stufen der Bildwiederaufbereitung und Fotogalerien werden internationale Trailer und Titelvorspänne gereicht – ein Booklet mit Informationen über den Entstehungsprozess der Restaurierung rundet dieses Paket ab. Der Kunde hat zudem die freie Auswahl: neben der Single-BD und -DVD gibt es die ‚klassische‘ EDV #5 als Combo-Edition im Digipack sowie eine nur beim Label und in limitierter Auflage erhältliche Sonderedition mit gebundenem Buch, in dem neben vielen Dreharbeitenfotos auch weitere Hintergrundinfos platziert sind.

PAULI-03Schon daran ist erkennbar, was hier in Marsch gesetzt wurde, um eine mustergültige Veröffentlichung auf die Beine zu stellen – hier wurde nicht gequasselt, hier wurde sich reingeschafft! Liebhaber des oft zu Unrecht gescholtenen, deutschen Genrekinos kommen ebenso wie Hamburg-Fans und Retro-Freunde voll auf Ihre Kosten. DIE ENGEL VON ST. PAULI sollten jedermanns Filmsammlung Flügel verleihen!

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Die Engel von St. Pauli, D 1969, R: Jürgen Roland, D: Horst Frank, Herbert Fux, Werner Pochath, Günther Neutze, Karl Lieffen, Rainer Basedow

Anbieter: Subkultur Entertainment