Over Your Dead Body

Over Your Dead Body

Von Jörg Stodolka

Der Erfolg von Kultregisseur Takashi Miike in Europa ist nicht unwesentlich verbunden mit den aufmerksamen Programm-Machern des Filmfestivals von Rotterdam, die seine Karriere von Anfang an verfolgt haben. Spätestens mit der ersten Aufführung des Meisterwerks AUDITION außerhalb Japans im Januar 2000 war der Grundstein für internationale Anerkennung gelegt. Kein Jahr ist seitdem vergangen, in dem nicht mindestens ein neuer Film des ungebrochen produktiven Regietalents in Rotterdam über die Festivalleinwand flimmerte. Es war zu erwarten, dass bei einem durchschnittlichen Ausstoß von fünf Filmen pro Jahr irgendwann einmal die Originalität auf der Strecke bleiben und manch Ausflug in die Welt des kostspieligen Mainstreams arg belanglos und anbiedernd daherkommen würde. Doch ganz so schlimm ist es nur selten gekommen, auch wenn Miike die Qualität von AUDITION kaum mehr erreichen konnte. Immer blieben seine Werke zumindest unterhaltsam, wenn auch manchmal deutlich zu lang – wie der diesjährige Crowdpleaser und Dämonen-vs-Schüler-Splatterstreifen AS THE GODS WILL erneut bewies. Da mutet es fast schon erholsam an, wenn sich Miike einmal in ruhigere, weniger vorhersehbar-schräge Gefilde begibt.

dead-coverMit OVER YOUR DEAD BODY wendet er sich ab von der aktuellen Populärkultur der Mangas hin zum historischen Schauspiel des Kabuki-Theaters und eines seiner erfolgreichsten Werke: Die Geistergeschichte „Yotsuya kaidan“ wurde im Jahr 1825 in Tokio uraufgeführt. Das Drama um einen Ronin, der für seinen gesellschaftlichen Aufstieg über Leichen geht und schließlich vom Geist seiner toten Ehefrau ins Verderben geführt wird, gehört seitdem zu einer der meist adaptierten Stücke. 1912 wurde sie das erste Mal verfilmt; über 30 Verfilmungen sind bislang existent. Miikes Adaption transferiert das Geschehen in die heutige Zeit, in die Welt der Schauspieler, die gerade an einer Aufführung des historischen Stücks arbeiten. Ihr Leben scheint ebenso von Gier nach Anerkennung, Sex und Erfolg erfüllt zu sein wie das der Figuren, die sie verkörpern. Kosuke ist der Ronin, der den Vater seiner Braut tötet, nur um bald auch seine Ehefrau ins Verderben zu treiben, als sich ihm in einer reichen Familie mittels Heirat eine Gelegenheit zum Aufstieg bietet. Auch jenseits der Bühne hat der junge Mann eine Affäre, während sich seine treue Freundin vehement der Avancen von Kollegen erwehrt. Nichts bleibt folgenlos, und bald verwischen Fiktion und Realität. Immer weniger kann Kosuke den von ihm verkörperten Charakter von seinem eigenen Ich trennen.

dead-2Miike orientiert sich in der Bildsprache am klassischen japanischen Theater. Die Kulissenhaftigkeit der Szenen des Originalstücks, deren Proben minutiös begleitet werden, findet ihre Entsprechung in den extrem stilisierten, fast sterilen Wohnungen der Protagonisten. Die Kamera bleibt ruhig, oft statisch. Der Wildheit des Regisseurs sind über weite Strecken enge Grenzen gesetzt, doch blitzt sie immer wieder in kurzen Momenten auf, bis sie sich im Finale Bahn bricht. Alles ist Theater, doch sind die Konsequenzen erschreckend real. Am stärksten wirkt Miikes Inszenierung dann, wenn sie Momente der Irritation einstreut. Momente wie ein weinendes Stofftier, die deutlich auf den Regisseur als Urheber verweisen und aus der inneren Logik der Erzählung ausbrechen, zeigen Miike einmal mehr auf der Höhe seines Schaffens. Auf der Meta-Ebene entsteht ein nihilistischer Kommentar über die Gesellschaft im heutigen Japan mit der Erkenntnis, dass sich über die Jahrhunderte nur wenig geändert hat. Auch die eher untergeordnete Rolle der Frau – ein Thema, das dem Theaterstück zu seiner Entstehungszeit soziale Relevanz verlieh – hat sich nur scheinbar verbessert.

OVER YOUR DEAD BODY ist faszinierendes, vielschichtiges Kino, irgendwo zwischen japanischer Tradition und David Lynch, dessen trügerische Ruhe nur selten in Sicherheit wiegt.

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Kuime, Japan 2014, Regie: Takashi Miike, | Produktion: Shigeji Maeda, Misako Saka, | Drehbuch: Kikumi Yamagishi, | Kamera: Nobuyasu Kita, | Musik: Koji Endo, | Mit: Ebizo Ichikawa, Ko Shibasaki, Hideaki Ito, Miho Nakanishi, Maiko, Toshie Negishi, Hiroshi Katsuno, Ikko Furuya, | Laufzeit: 93 Min. (kein deutscher Verleih)