Das schwarze Reptil

Das schwarze Reptil

Von Gerd Naumann

Der handwerklich-dramaturgisch versierte Regisseur John Gilling war einer der profiliertesten Genreregisseure und Drehbuchautoren Großbritanniens. Bereits in den 1930er Jahren sammelte er Erfahrungen als Regieassistent, war ab Ende der 1940er Jahre als alleinverantwortlicher Regisseur tätig und verdiente sich ebenso Meriten mit der Inszenierung von Episoden für Fernsehserien wie DEPARTMENT S. (1969-1970) und SIMON TEMPLAR (1962-1969). Von Bedeutung ist auch sein Kinospielfilm THE FLESH AND THE FIENDS (DER ARZT UND DIE TEUFEL, 1960), eine Horrorfabel um die Leichenräuber Burke und Hare. Als Gilling in den 1960er Jahren für die Produktionsschmiede Hammer tätig wurde, hatte er also bereits fast drei Jahrzehnte Erfahrungen in der Filmbranche sammeln können. Somit ist es nicht verwunderlich, dass seine Hammer-Produktionen THE REPTILE (DAS SCHWARZE REPTIL, 1966), THE PLAGUE OF THE ZOMBIES (NÄCHTE DES GRAUENS, 1966) und THE MUMMY´S SHROUD (DER FLUCH DER MUMIE, 1967) als drei der schönsten und atmosphärischsten Filme des Studios gelten können. Unter den genannten Filmen sticht besonders THE PLAGUE OF THE ZOMBIES als stilbildender und ikonischer Vertreter eines Genres hervor, das in den Folgejahren als „Zombiefilm“ bezeichnet wurde. Durch die Verbindung von Elementen klassischer Trivialliteratur und -filmgeschichte schuf Gilling ein atmosphärisch dichtes Werk.

Cover-REPTILTHE REPTILE wiederum entstand parallel zu THE PLAGUE OF THE ZOMBIES in den Bray Studios in Berkshire, ästhetische Gemeinsamkeiten sind nicht zu übersehen. So wurde teilweise in denselben Kulissen gedreht, auch einige Darsteller oder die Kamera waren für beide Produktionen tätig. In einer abgeschiedenen dörflichen Gegend geschehen seltsame Morde, die Opfer sind grauenhaft entstellt und weisen Bisswunden auf. Es hat den Anschein, als würde es sich dabei um Schlangenbisse handeln… Den jungen Harry Spalding führt der Tod seines Bruders in diese Gegend, mehr und mehr kommt er einem mysteriösen Geheimnis auf die Spur. Welche Rolle spielt dabei der vor einiger Zeit aus Indien zurückgekehrte Dr. Franklyn, der sich mit seiner Tochter auf ein abgeschiedenes Herrenhaus zurückgezogen hat und die Öffentlichkeit zu meiden scheint? Und was hat sein undurchsichtiger indischer Bediensteter damit zu tun?

REPTIL-1Wie THE PLAGUE OF THE ZOMBIES kann auch THE REPTILE als grimmige Reflexion auf die britische Kolonialvergangenheit gelesen werden, allein die Dominanz des kaltherzigen indischen Dieners gegenüber seinem „Herren“ kehrt die gewohnten Rollenbilder um. Der englische Invasor vertritt nicht länger eine moralisch überlegene Position, sondern muss für koloniale Arroganz und Missachtung fremder Kulturen einen hohen Preis zahlen. Gillings Film behandelt ebenfalls das auf Misstrauen und Fürsorge basierende Verhältnis eines Vaters zu seiner Tochter. Aus dieser Beziehung ergibt sich einer der ausdruckstärksten filmischen Momente im Korpus der Hammer-Produktionen. Während einer Abendgesellschaft soll Anna Franklyn, die Tochter des undurchsichtigen Dr. Franklyn, auf ihrer aus Indien mitgebrachten Sitar der Gruppe etwas vorspielen. Was als harmloses und erbauliches Spiel beginnt, wird immer mehr zu einer Auflehnung gegen den unterdrückenden Vater. Mit Verve spielt Anna nun eine Melodie, die für ihn etwas Bedrohliches bedeutet und ihn schließlich die Fassung verlieren lässt. Als Zuschauer ahnen wir spätestens jetzt, dass die zerrüttete Vater-Tochter-Beziehung in Zusammenhang mit deren gemeinsamer Vergangenheit in Indien stehen muss. Eine schöne, intensive und glänzend gespielte Szene, wie überhaupt alle Darsteller in THE REPTILE ihre Rollen mit sichtlicher Spielfreude ausfüllen. Hammer-Liebhaber erfreuen sich zudem an prägnanten Auftritten liebgewordener Darsteller wie Michael Ripper.

Plakat-REPTILMit THE REPTILE veröffentlicht Anolis einen der schönsten Filme des britischen Spannungskinos, ebenso würdig sind die Blu-ray-Editionen. Die Bild- und Tonqualität ist gerade bei diesem Film enorm, in solcher Pracht hat man ihn seit den damaligen Kinoaufführungen nie wieder erleben dürfen. Erschienen ist er in verschiedenen Mediabook-Editionen, die jeweils mit einem umfangreichen Booklet mit einem Beitrag von Rolf Giesen und Uwe Sommerlad ausgestattet sind, und einer Standardausgabe. Die Extras auf den Scheiben sind jeweils identisch. Neben Trailern, einer Bildergalerie und dem deutschen Werberatschlag für Kinobetreiber liegt das Hauptaugenmerk auf einem Audiokommentar von Rolf Giesen und Volker Kronz sowie einem halbstündigen „Making of“ namens THE SERPENT´S TALE. Alles in allem legt Anolis auch mit THE REPTILE eine mustergültige Veröffentlichung eines Hammer-Films vor und unterstreicht damit den Referenzcharakter der hauseigenen neuen Hammer-Edition. Liebevoll gestaltet und inhaltlich fundiert aufbereitet, ist bisher jede der erschienenen Ausgaben eine Bereicherung jeder Filmsammlung.

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The Reptile, GB 1966, R: John Gilling, D: Noel Willman, Jennifer Daniel, Ray Barret, Jaqueline Pearce, John Laurie u.a.

Anbieter: Anolis Entertainment