Autumn Blood

Autumn Blood

Von Rudi Specht

Das Pressezitat auf der Rückseite der DVD-Hülle kündigt „ein fesselndes Rape & Revenge Movie“ an. Nach kurzer Zeit stellt man aber fest, dass man es hier mit einem ganz außergewöhnlichen Vertreter der Filmwelt zu tun hat, der sich nicht einfach in eine Schublade einordnen, sich keinen Genrestempel aufdrücken lässt.

Autumn BloodErzählt wird hier in unglaublich schönen Bildern und langen, perfekt arrangierten und kadrierten Einstellungen die Geschichte eines jungen Mädchens, das mit ihrem kleinen Bruder und ihrer Mutter in einer abgelegenen Hütte in der Nähe eines Bergdorfs in den Tiroler Alpen lebt. Der Vater wurde vom Bürgermeister des Alpendörfchens vor den Augen seiner Kinder erschossen, als diese noch sehr klein waren, und wird dafür nie zur Rechenschaft gezogen. Das Mädchen, wunderbar zerbrechlich und anmutig gespielt von Sophie Lowe, besucht das Dorf nur, um monatliche Zahlungen eines Amtes abzuholen. Gelegentlich lauscht sie zusammen mit ihrem Bruder den Glocken der Dorfkirche, in der sich sonntäglich die gesamte Dorfgemeinde versammelt. Als schließlich auch die Mutter der Kinder stirbt, sind diese auf sich allein gestellt, bewältigen ihren Alltag in der Manier der Selbstversorger aber durchaus. Als das Mädchen eines Tages in einem Bergsee badet, wird sie vom Sohn des Bürgermeisters beobachtet, der sie, angezogen von ihrer Unschuld und Reinheit, vergewaltigt. Dies tut er, dargestellt von dem Finnen Samuel Vauramo, mit einer solchen Innigkeit und fast schon liebenden Zuneigung im Blick, dass es dem Zuschauer schwer fällt, sich zu entscheiden, ob er denn jetzt mehr Mitleid mit dem Opfer oder dem Täter haben soll. Nunmehr als eine Art von Freiwild angesehen, wird das Mädchen erneut heimgesucht. Diesmal nicht nur vom Sohn des Bürgermeisters, sondern auch von dessen beiden Freunden…

Markus Blunder, der bereits in den 1980er Jahren als Kameraassistent an Filmen Wolfgang Petersens beteiligt war, zum Beispiel DIE UNENDLICHE GESCHICHTE und ENEMY MINE – GELIEBTER FEIND, liefert mit AUTUMN BLOOD seinen ersten Langfilm unter eigener Regie ab. Und dieses Debüt kann sich sehen lassen. Mithilfe der amerikanischen Kamerafrau Reed Morano inszeniert er hier das, was er selbst als „alpinen Western“ bezeichnet. Im feinsten Breitbildformat wird hier der Geist Sergio Leones in die Tiroler Alpenlandschaft getragen, Almeria durchs Ötztal ersetzt und die staubige Westernstadt durch ein konservatives Bergdörfchen. Die unglaublich imposanten Landschaften des Ötztals, Lechtals und der Zugspitzregion werden von dem gebürtigen Kufsteiner Regisseur ebenso präsent als Protagonist in Szene gesetzt wie das übrige herausragende Schauspielerensemble. Die Kameraführung, perspektivische Bildaufteilung sowie die Anordnung der Schauspieler im Bild erinnern nur allzu oft wohltuend an italienische Westernklassiker, wie zum Beispiel der Aufmarsch der drei Bösewichte vor der Hütte der Kinder als eine unverhüllte Hommage an die Eröffnungsszene aus Leones Spiel mir das Lied vom Tod gelesen werden muss.

Autumn BloodGenau so sparsam wie in den Vorbildern wird hier mit dem gesprochenen Wort umgegangen. Der Einsatz verbaler Verständigungsformen ist extrem reduziert, stattdessen lässt Blunder die Bilder und vor allem die Augen der Protagonisten sprechen. Zuweilen wirkt dies etwas befremdlich, wenn an Orten der Geselligkeit, wie beispielsweise in der Dorfschenke, kein Sterbenswörtchen zu vernehmen ist und man den stillen Mimen irgendetwas entgegen schreien möchte. Einfach nur, um dieser bedrückenden Stille Einhalt zu gebieten. An wieder anderen Stellen des Films scheint das Wort dann aber auch deplaziert und unnötig, wenn exemplarisch der Metzgersbursche das Mädchen mit den Worten „Das Gewehr! Los! Das Gewehr!“ auffordert, ihren Schießprügel aus der Hand zu geben, was nun wirklich mit einer einfachen Bewegung des unbehaarten Hauptes hätte vermittelt werden können. Die bombastische Landschaft und die schreiende Stille werden gekonnt untermalt von der unaufdringlichen und sehr passenden Filmmusik des Komponisten Robert Miller, die ein ums andere Mal tatsächlich an das Wirken des Großmeisters Morricone erinnert, ohne jemals plagiatorisch zu werden.

Verschweigen lässt sich dennoch nicht, dass der Film zum Ende hin dramaturgisch ein wenig abbaut und logische Lücken lässt, die aber das im Gesamten betrachtete Sehvergnügen nicht zu trüben vermögen. Sehenswert ist er allemal, vorzugsweise auf einem möglichst großen Bildschirm oder einer Leinwand, um die epischen Bilder optimal genießen zu können. Unverständlicherweise blieb dem deutschen Kinogänger der Genuss dieses cineastischen Bergkristalls in einem angemessen Lichtspielhaus verwehrt.

Auf der Alm, da gibt es Sünde… im deutschen Kinosaal leider nicht immer.

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Autumn Blood – Die Zeit der Rache, Österreich/USA 2013, R: Markus Blunder, D: Sophie Lowe, Gustav Skarsgard, Samuel Vauramo, Maximilian Harnisch, Peter Stormare

Anbieter: Donau Film