Der Satan ohne Gesicht

Der Satan ohne Gesicht

Von Christopher Klaese

Was für eine Ausgangssituation: ein Regisseur, der außer ein paar Dokumentarfilmen nichts vorzuweisen hat – eine Produktionsfirma, die lediglich für die Länge dieses einen Films bestand hatte – Darsteller, die ansonsten kaum über Chargen oder Kurzauftritte hinauskamen – ein Filmkomponist, der eigentlich Klassikadaptionen für Vokalensembles schuf. Doch all diese Talente bündelten sich, um in der florierenden Filmindustrie der Swinging Sixties endlich ihre ‚15 Minuten Ruhm‘ zu erleben und sich in die Geschichtsbücher der Cinecittà einzutragen. Vorhang auf für LA BAMBOLA DI SATANA:

Anstatt auf einem französischen Schloss ihr Erbe anzutreten, wird der Aufenthalt für Elisabeth (Erna Schurer) zur übersinnlichen Gruselerfahrung. Der Satan ohne Gesicht steigt aus ihren Träumen heraus in die Umwelt aus Fleisch und Blut, alle Schlossbewohner leben in Angst und Schrecken und müssen um ihr Leben fürchten!

Wenn Regisseur Casapinta eines kann, dann ist es Atmosphärenerzeugung – aus dem Setting des altehrwürdigen Spuckschlosses mit knarzenden Türen, wehenden Vorhängen und geheimen Verliesen, holt er über die gesamte Spielzeit das Optimum heraus. Kameratechnisch solide, jedoch ohne große Experimente gefertigt, herrscht eine tolle Stimmung; Grusel, Schreck und Geisterbahnfeeling galore. Die Traumsequenzen, in denen Elisabeth seltsamen Riten und erotisch aufgeladenen Folterungen beiwohnt, haben ebenfalls Stil und morbiden Charme. Die zugrunde liegende Geschichte ist demgegenüber nicht ganz so tragfähig, erfindet das Rad nicht neu und bewegt sich mit seinem Erbschleicher-Plot in dutzendfach schon dagewesenen Bahnen – das sollte jedoch niemanden abschrecken; schon so mancher filmische Welterfolg ließ einen zu allerletzt an seine Drehbuchhandlung denken.

Satan CoverDer Film, der bis zu seinem Erscheinen 1969 wohl schon einige Zeit auf Halde lag und Jahre früher entstanden sein dürfte, steht symptomatisch für den Umbruch im italienischen Thriller-Genre dieser Dekade. “Die Puppe des Teufels” – wie der Filmtitel im Original lautet – orientiert sich klar am klassischen Gothic-Horror in der Tradition der Universal-Studios, putzt jedoch durch das herrliche Telecolor die Szenerie mit poppigen Schauwerten auf. Ähnlich den zeitgleich entstandenen Edgar Wallace-Filmen von ‚Freddy‘ Vohrer – beispielhaft seien DIE BLAUE HAND (1967) und DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (1967) genannt – vermischt LA BAMBOLA DI SATANA die mittlerweile tradierte Schauerromantik mit Bava’esker Farbdramaturgie. Den einen oder anderen Moment aus BLUTIGE SEIDE (1963) kann man als Inspirationsgrundlage durchweg aufspüren. Auch kommen Früheinflüsse und Signationen des Giallo zum Einsatz, wobei speziell auf der erotischen und gewaltdarstellenden Ebene zeitbedingt recht zahm, jedoch nicht unintelligent operiert wird.

Die Schauspieler sind allesamt die ‚2. Geigen‘ der Szene, lediglich die hinreißende Erna Schurer brachte es im Rahmen ihrer Möglichkeiten noch zu einiger Bekanntheit. Als ‚demoiselle en détresse‘ ist sie hier noch nicht ganz auf der Höhe ihrer späteren Möglichkeiten, schmeißt sich jedoch mit Verve ins Geschehen und kann als Scream-Queen Akzente setzen. Roland Carey, unter dem seinem ‚Nom de guerre‘ Rod Carter sogar bis in Klaus Lemkes wundervollen Erstling 48 STUNDEN BIS ACAPULCO (1967) vorgedrungen, steht ihr in nichts nach und konnte es zu dieser Zeit mit jedem Eurospyhelden aufnehmen. Auch alle anderen Schauspieler, sonst an den Enden der Besetzungslisten zu verorten, spielen jeweils die Rolle ihres Lebens: Aurora Bautista, Ettore Ribotta, Lucia Bomez oder Manlio Salvatori dürfen endlich einmal zeigen, was sie können; selbst einen Stuntman wie Franco Daddi erlebt man – neben einem obligaten Faustkampf – hier mit Dialogpassagen.

Die Filmmusik von Franco Potenza klingt in den sinistren Spannungsquenzen stark nach Carlo Rustichelli und ist somit eher symphonisch geprägt, weiß allerdings durch aus der Jukebox erklingende, gitarrenlastige Yéyé-Musik sowie ein verjazztes Hauptthema zu begeistern – ebenso vortrefflich unterstützt eine pumpende Hammondorgel die Gruselmomente.

Wieder einmal ist es das Label X-Rated, das uns eine bislang kaum zu findende Perle präsentiert; lediglich ein Kinostart sowie eine VHS-Auswertung in Italien waren bisher nachweisbar. Die Bildqualität des parallel auf DVD und Blu-ray erschienenen Streifens ist eine wahre Augenweise und der Transfer in 1,85:1 sehr fein. Neben dem italienischen ‚Originalton‘ wurde dem Film für diesen Release eine hervorragende deutsche Synchronbearbeitung zuteil, die den Charme zeitgenössischer Eindeutschungen transmittiert und deren Sprecher (u.a. Margrit Straßburger, Thomas Petruo, Ingo Albrecht, Lutz Harder, Peter Groeger und Gerald Paradies) den atmosphärischen Tonfall der 1960er Jahre gut treffen. Mit Bonus wurde ebenfalls nicht gespart, neben einem Making Of der Synchronarbeiten – das einen schönen Einblick in das tägliche Geschäft dieser Branche gibt – findet sich ein Interview mit Schauspieler und Synchronsprecher Gerald Paradies, geführt von Gerd Naumann. Dieser gestaltet dann, zusammen mit Matthias Künnecke und Bodo Traber, auch den Audiokommentar – ein informatives, kurzweiliges Vergnügen, in dem den wenigen Spuren des Films und seiner Darsteller ausführlich nachgegangen wird. Ein vom Label eigenkreativ erstellter, deutscher Trailer, eine Bildergalerie, ein kurzes Textinterview mit Hauptdarstellerin Erna Schurer und ein kundiger Booklettext von Matthias Künnecke runden das Paket ab.

Bambola CoverLA BAMBOLA DI SATANA – ein vergessener Monolith aus der Blütezeit des italienischen Filmes, der schon damals etwas aus der Zeit gefallen schien. Für die Gothic-Welle zu spät, für den Giallo-Hype zu früh. Einfach zwischen den Stühlen im schnelllebigen Business versackt, in der Nische verstaubt. Jahrzehnte später endlich wieder hervorgekramt und wie ein kostbarer, archäologischer Fund der Nachwelt überantwortet. Man mache sich ruhig mal den Spaß und versetze sich in die Lage von Regisseur Casapinta. So man auf einer Party, im Schneideraum oder einem zufällig vorbeikommenden Cinecittà-Mitarbeiter berichten kann: “Wissen Sie, ich habe zwar nur einen einzigen Spielfilm inszeniert, aber dieser eine war immerhin LA BAMBOLA DI SATANA!” – dann darf man durchaus von sich behaupten, alles richtig gemacht zu haben.

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La bambola di Satana, Italien 1969, R: Ferruccio Casapinta, D: Erna Schurer, Roland Carey, Aurora Bautista, Ettore Ribotta, Lucia Bomez, Manlio Salvatori

Anbieter: X-Rated