Nove ospiti per un delitto - Neun Gäste für den Tod

Nove ospiti per un delitto – Neun Gäste für den Tod

Von Christopher Klaese

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: während George Lucas mit STAR WARS (1977) das bis heute bekannte Blockbusterkino amerikanischer Prägung begründet, stampft ein italienisches Filmteam auf der vor Sardinien gelegenen Mittelmeerinsel La Maddalena zeitgleich die kleine, dreckige Italoploitation-Produktion NOVE OSPITI PER UN DELITTO aus dem Boden. Die Unterschiede könnten größer nicht sein. Vor der endgültigen Okkupation durch US-Produktionen geht ein Mann wie Ferdinando Baldi noch mal aufs Ganze und feiert das ‚Silver Age‘ der italienischen Entertainmentmaschinerie. Nimm das, Han Solo!

neun.gaeste.fuer.den.tod.1977.coverAuf seiner Privatinsel bittet der reiche Patriarch Umberto seine Familie samt Anhängen zum Abhängen. Doch diese Feiergesellschaft hat es faustdick hinter den Ohren: Unmoral, Hurerei und Hobbyesoterik feiern fröhlich Urständ, die Eitelkeiten schießen ins Kraut. Als ein mysteriöser Killer seine Arbeit aufnimmt und ein wohlbehütetes Familiendrama sich wieder ins Bewusstsein der Inselbesucher schiebt, setzt es blanken Horror. Einer von Ihnen muss es sein, der dem Leichenbestatter so munter zuarbeitet. Spätestens jetzt stellt sich heraus, dass für die Gäste Halbpension genügt hätte. Zusehends lichten sich die Reihen, es werden täglich Betten frei!

Von Regisseur Ferdinando Baldi – dessen süffisanter Eisenbahn-Thriller LA RAGAZZA DEL VAGONE LETTO (1979) ebenfalls vor einiger Zeit bei Camera Obscura auf DVD erschien – ist man nicht nur solide Genreware gewohnt, mit Filmen wie DJANGO, DER RÄCHER (1966) oder BLINDMAN, DER VOLLSTRECKER (1971) verfertigte er echte Italowesternklassiker. Sein NOVE OSPITI PER UN DELITTO hat zudem den großen Vorteil, ein schlüssiges Drehbuch zu besitzen. Fabio Pittorru, ursprünglich auch für die Inszenierung vorgesehen und erst kurz vor Drehbeginn durch Baldi ersetzt, verarbeitet die allseits beliebte Christie-Mär „Ten Little Indians / Zehn kleine Negerlein“ zur filmgerechten Schauergeschichte.

Baldi setzt die Story auf der sonnendurchfluteten Felseninsel inspiriert in Szene, speziell die atmosphärische Pre-Title-Sequenz zeigt sein ganzes Können. Was Joe D’Amato mit dem sujetbedingt ähnlich gelagerten Antropophagus (1980) nicht so hinbekam – nämlich das Ersetzen von Spannungserzeugung durch übertriebene Ekstase – gelingt Baldi auf Anhieb. Kameramann Sergio Rubini offeriert perfektes Handwerk und taucht die stimmungsvollen Settings in wundervolle Bilder – Sommer, Sonne, Sensenmann! Vereinzelte Derbheiten und das Ausspielen nackter Tatsachen gestalten sich als Sahne auf der Torte; da staunt der Kritikerlaie und der Filmfan ereifert sich.

neun.gaeste.fuer.den.tod.1977.stillFür das Figurenkabinett, die neun Gäste für den Tod, hat sich Pittorru feiste Charakterschweine ausgedacht, deren menschlicher Sympathiefaktor gegen Null gehen dürfte; diese Bagage entlockt einem keine tausend Küsse. Idealer Nährboden für talentierte Schauspieler, die sich diese Rollen zu Eigen machen. John Richardson, der sein in Stein gemeißeltes Gesicht in alle Winkel der Cinecittà halten durfte – es sei an Partyfilme wie Umberto Lenzis Gatti rossi in un labirinto di vetro (1975) erinnert – macht auch hier einen guten Job. Das wettergegerbte Antlitz Venantino Venantinis ist ebenso eine Schau wie Massimo Foschi, Theaterstar und seltener Gast in filmischer Exploitation. Ein altes Schlachtross wie Arthur Kennedy zieht alle Register, die weibliche Besetzung hingegen vorzugsweise blank. Dana Ghia gibt alles und spielt forsch drauflos, auch die reizende Sylvia Dionisios Schwester Sofia ist Garant für Fangesänge.

Perfekte Untermalung findet sich wiederholt im Soundtrack, für den der legendäre Carlo Savina verantwortlich zeichnet. Sein wehmütiger Downtempo-Discostomper, der sich wie ein schwelgerischer Hauch über die Titelsequenz legt, hat große Klasse und wird dank veredelnder Sopranvokalise schnell zum Ohrwurm. In den Spannungszenen setzt Savina auf seinen erprobten Stil aus großorchestralen Streicherglissandi, die man schon bei L’ASSASSINO RESERVATO NOVE POLTRONE (1972) heraushören konnte. Leider blieb bis heute eine Filmmusikveröffentlichung aus. Sei’s drum, unser John Williams heißt Carlo Savina!

Wie etwa auch UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ (1972) wird NOVE OSPITI PER UN DELITTO von Camera Obscura ausschließlich mit der italienischen Tonspur präsentiert. Eine deutsche Veröffentlichung wurde dem Film leider weder im Kino noch im Videobereich zuteil; deutsche wie englische Untertitel sind auf der DVD natürlich zuschaltbar. Die Abtastung zeigt sich in sehr guter Verfassung, wobei das Breitbild im Verhältnis 1.85:1 frei von Defekten präsentiert und kontrast- und farbreich wiedergegeben wird. Als Extra ist wiederum ein hörenswerter Audiokommentar von Christian Keßler und Dr. Marcus Stiglegger an Bord, der keine Wünsche offen lässt. Die Dokumentation mit Schauspieler Massimo Foschi ist ebenso wie das im Booklet abgedruckte Interview mit Szenenbildner Giovanni Licheri reich an Informationen über die Drehorte und Dreharbeiten. Der italienische Trailer sowie ein Booklet-Essay von ‚The Mighty‘ Kai Naumann, der sich speziell mit den Topoi des Skripts und Verweisen zu ähnlichen Werken des Genrekinos widmet, machen das Maß voll – eine vorbildlich ausgestattete und aufbereitete Veröffentlichung.

Agatha Christie meets Italoploitation. Keine neue Erfindung, aber Ferdinando Baldi kredenzt einen munteren Schangel aus dem Land in Stiefelform und versetzt den Zuschauer mit herzhaften Einfällen aus der Giallo-Kiste in Verzückung. Launige Unterhaltung garantiert, Baldis ganz persönliches ‚Fantasy Island’ lädt zum Sommerfest – der Platz wird für alle reichen.

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Nove Ospiti per un Delitto, Italien 1977, Regie: Ferdinando Baldi, Mit: Arthur Kennedy, John Richardson, Massimo Foschi, Sofia Dionisio, Dana Ghia, Venantino Venantini u.a.

Anbieter: Camera Obscura