Gone with the Bullets

Gone with the Bullets

Von Heinz-Jürgen Köhler

Wunderschöne 20er-Jahre-Autos verfolgen einander mit Höchstgeschwindigkeit. Die Straße führt durch quietschgrüne Wiesen und Felder, am Horizont eine knallrote Windmühle. Gefilmt im Zeitraffer geht die wilde Hatz voran, während die Insassen aus dem ersten und dem zweiten Wagen – vorne die Tochter, hinten die Mutter – aufeinander schießen. Und wenn sie gerade nicht feuern, diskutieren die beiden Frauen auch noch miteinander, denn auf den Autodächern sind Lautsprecher montiert. Diese irrwitzige Verfolgungsjagd steht prototypisch für den chinesischen Wettbewerbsfilm YI BU ZHI YAO (GONE WITH THE BULLETS) der diesjährigen Berlinale, der ein auf die Dauer lähmendes Programm des Schneller, Lauter, Weiter und vor allem des Mehr, Mehr, Mehr fährt. Hysterisches Überwältigungskino, das auf die Dauer leerläuft.

gone.with.the.bullets.2014.coverViel versprechend fängt es noch an. Schanghai, um 1920: Zwei Gauner machen gemeinsame Sache – der ehemalige Adlige und Berufsschwindler Ma Zouri und der korrupte Polizist Xiang Feitan. In einer Szene, die aufs herrlichste den „Paten“ zitiert, kommt der Playboy Wu-Seven zu ihnen. Eine italienische Frau habe ihn gedemütigt, Teigwaren unterschiedlicher Herkunft spielten dabei eine kuriose Rolle. Kurz gesagt, geht es ihm darum, das Stigma des Neureichen loszuwerden, sein Geld soll „alt“ sein. Kein Problem für die beiden Gauner. Sie arrangieren kurzerhand eine Miss-World-Konkurrenz für Freudenmädchen. Von der zeigt der Film eine Szene, die wohl als eine der unvergesslichen dieser Berlinale in Erinnerung bleiben wird: eine große bunte Revueszene. Da werden Opernarien gesungen und Jazzsongs, die erst zehn Jahre später komponiert werden, wie die beiden Gangster als Zeremonienmeister verraten. Da wird getanzt, mal Step, mal Spitze und mal in ornamentalen Busby-Berkeley-Arrangements. Und da gibt’s köstliche Revuegimmicks wie den Tanz in überdimensionierten Seifenblasen.

gone.with.the.bullets.2014.cover2Wer nach dieser Szene das Kino verlässt, hat nicht viel verpasst. Die atemlose Verquickung von Versatzstücken und Zitaten aus allen denkbaren Quellen verliert in den folgenden 100 Minuten jeden Charme, Esprit und Witz. Das Tempo erlahmt und – zumindest für westliche Augen – geht jegliche narrative Stringenz verloren. Gauner Ma Zouri erlebt erst mit der einen Miss World verrückte Abenteuer. Und als die auf etwas herzlose Weise ums Leben kommt, mit der nächsten – jener aus der Verfolgungsjagd. Irgendwie spielen dabei auch immer wieder Filmproduktionen eine Rolle, und Teile des Gesehenen sollen als Film-im-Film nachgespielt werden. Groteske wechselt mit Melodram, Klamotte mit Action. Dass der Berlinale-Katalog neben Regisseur und Ma-Zouri-Darsteller Jiang Wen acht weitere Drehbuchautoren nennt, wirkt da wie ein schlimmes Vorzeichen.

Erscheint GONE WITH THE BULLETS im Berlinale-Wettbewerb auch wie ein bizarrer Solitär, er soll doch Teil einer Trilogie werden. LET THE BULLETS FLY von 2010, ein Mix aus Western und Gaunerkomödie, angesiedelt in der chinesischen Provinz um 1919, initiierte diese Reihe. Jiang Wen und Ge You spielten darin schon mit, ebenso Actionstar Chow Yun-Fat als Bösewicht. Man darf immerhin gespannt sein, wie Jiang Wen den Irrwitz beim finalen Teil noch steigern will.

Bei GONE WITH THE BULLETS will der Regisseur schließlich auch noch einen weiteren Topos bedienen – den der Authentizität. Der Film soll sowohl auf den ersten abendfüllenden, seit Jahrzehnten verschollenen chinesischen Tonfilm YAN RUISHENG aus dem Jahr 1921 anspielen wie auch auf den realen Mord an einer Prostituierten im Schanghai der 20er. Und so endet ein größtenteils hohles Effektgewitter mit der bizarren Schrifttafel, von realen Ereignissen inspiriert zu sein.

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Yi bu zhi yao (Gone with the Bullets), China/USA/Hongkong 2014 | Regie: Jiang Wen, Buch: Jiang Wen, Guo Junli | Mit: Jiang Wen, Ge You, Zhou Yun, Shu Qi, Hung Huang, u.a. | Laufzeit: 140 Minuten, noch kein deutscher Verleih.